Albert – Ich habe dich bei deinem Namen gerufen

Albert-Bilder oder Auseinandersetzung mit dem Unfassbaren

Am 20. Oktober 2012 starb unser ältester Sohn Albert plötzlich und unerwartet fünf Wochen nach seinem 27. Geburtstag. Einige Monate nach diesem Schicksalsschlag begann ich mich künstlerisch mit der Bearbeitung dieses unsagbaren Verlustes und Schmerzes auseinanderzusetzen. Ich fing eine Zeichnung in einer ähnlichen Technik an, wie ich sie vor Alberts Tod angewandt hatte, kam aber in meiner veränderten Situation damit nicht zurecht und musste eine neue Ausdrucksweise finden. Es war einfach in jeder Beziehung ganz unmöglich, so weiterzuleben wie zuvor. Da ich den ganzen Tag seinen Namen immer wieder innerlich oder leise zu mir sagte, entschied ich mich dafür, Zeichnungen mit dem Schriftzug „ALBERT“ als Gestaltungselement zu machen.

Anfangs dachte ich daran, seinen Namen so oft zu überschreiben, dass er für die Betrachter unlesbar sein sollte und nur mir selbst bewusst. Diese meditative Möglichkeit - lauter ähnliche schwarze Bilder herzustellen - verwarf ich schon nach dem ersten Bild und setzte ab da den Schriftzug „ALBERT“ für alle sichtbar ein. Ich wollte etwas Vielfältiges gestalten und entwickelte Regeln, damit die Arbeiten unterschiedlich wurden, damit sie - jede für sich - einen ästhetischen Anspruch entwickeln konnten.

Auch kam es mir darauf an, etwas Anstrengendes zu machen, das mich viele Stunden Konzentration kosten würde. Da das Papier auf dem Tisch lag und ich mit Feinstrich-Pen zeichnete, der eine gewisse Zeit zum Trocknen braucht, arbeitete ich in über diesen Tisch gebeugter Haltung, immer darauf achtend, dass meine Hände und Arme die Schrift nicht verwischten. Und jedes Mal, wenn ich das Wort „ALBERT“ auf das Blatt schrieb, flüsterte ich „mein Albert“ oder „Albert“ oder sagte es wenigstens innerlich mindestens einmal beim Aufzeichnen jedes Schriftzugs zu mir. Während dieses Prozesses kam mir irgendwann das Bibelzitat aus dem Alten Testament in den Sinn: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein“ (Jesaia 43,1) - und ich beschloss, der Serie den Titel „Albert - Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“ zu geben. Denn ich wollte meinen Sohn mit meiner Liebe umhüllen, ihn beschützen und begleiten, da wo er jetzt ist, soweit mir das als Mensch überhaupt möglich ist.

Die entstandenen Bilder wirken aus der Entfernung wie gewöhnliche Strichzeichnungen. Aus der Nähe betrachtet, kann man die Buchstaben lesen, je nach den Regeln, die ich für das jeweilige Bild vor Beginn des Zeichnens aufstellte. Diese Regeln beziehen sich auf die Größe, auf die Anordnung oder Richtung und auf die Möglichkeit der Durchdringung der einzelnen „ALBERTS“. Die Bilder können an Steine, Geflechte, Wellen, Wolken, gewebte Teppiche, Netze, Landkarten oder den Sternenhimmel erinnern.

Die Serie besteht aus sechzehn 65 x 50 cm großen Feinstrich-Pen Zeichnungen auf Karton, entstanden vom 21. März bis zum 28. November 2013. Das Bild „Der Übergang“, begonnen im Januar 2013, endgültig fertiggestellt am 6. Mai 2013, ist für mich ein Übergang von meinen früheren Arbeiten der Camp Serie zu der jetzigen Serie - von meinem Leben davor zu meinem durch Alberts Tod völlig veränderten Leben.